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Elisa Canducci & Fabrizia Vanetta
Kunstfestivals Ortstermin in Moabit und Tiergarten

Opening: Freitag, 1. September ab 19:00 Uhr

Festival: 2./3.9.23, 14 - 19:00 Uhr
Wilsnacker Str. 1, 10559 Berlin

Die Installationen befinden sich in zwei Schaufenstern & sind von der Straße aus
unabhängig von Öffnungszeiten bis über die Dauer des Festivals hinaus zu sehen.



Zwei schmale bedruckte Papierbahnen bedecken die Seitenwände hinter der Glasscheibe. Ein Teil des gleichen Papiers entrollt sich von der Decke bis zum sichtbaren Rand des Schaufensters. Durch ihre Anordnung bildet die Papiertapete einen dreiseitigen Raum, der sich zur Straße und zum Betrachtenden hin öffnet. Das gedruckte Tapetenmuster wiederholt sich, aber weist Fehler im Rapport auf. Die einzelnen Elemente des Musters sind eine Traubendolde, ein grünes Gitter und ein ovales Bild einer Frau, die durch hohes Wasser watet und einen langen Ast in der Hand hält.

Das ovale Element des Musters ist nach einem Foto von Juliane Koepcke entstanden. Koepcke’s Geschichte fasziniert mich: sie war 1971 mit einem Flugzeug im peruanischen Regenwald abgestürzt und hatte als einzige überlebt. Ihre Eltern waren von Deutschland nach Peru ausgewanderte Biolog*innen und verbrachten viel Zeit mit der ganzen Familie in einer Forschungsstation im Dschungel. Koepcke war erst 17, als das Flugzeug abstürzte. Neben einiger Zufälle half ihr dabei die Vertrautheit mit dem Regenwald zu überleben.

An den Seitenwänden innerhalb des Schaufensters sind außer den Papierbahnen auch kleinformatige Malereien angebracht. Ein Teil der Motive stammt aus meiner Beschäftigung mit der Geschichte Emanuela Orlandis. Auf sie bin ich durch eine Netflix-Dokuserie (Vatican Girl, 2022) gestoßen. Orlandi verschwand 1983 als 15-jährige in Rom oder im Vatikanstaat unter bisher ungeklärten Umständen. Trotz zahlreicher Versuche das Verschwinden Orlandis aufzudecken, wissen ihre Familie und die Öffentlichkeit nicht, was mit ihr passiert ist und ob sie noch lebt oder wie sie umgekommen ist.

In der Zusammenstellung der Motivtapete mit den gemalten Bildern verwebe ich Juliane Koepckes und Emanuela Orlandis Geschichten miteinander. Beide wurden als Teenager durch äußere Umstände ihrem gewohnten Leben entrückt. Koepcke - mit dem Stock die Tiefe des Wassers prüfend - erinnert mich an eine Heiligendarstellung, z.B. an Johannes der Täufer auf dem Madonnen-Bild von Piero della Francesca (um 1473) in Brera. Klerikale Vertreter wie Bischöfe und Päpste verwenden bis heute einen Stab als Symbol ihres Herrschaftsanspruchs innerhalb des Kirchenstaates.

fv, 2023



Mittig:

Juliane, 2023, Linoldruck auf farbigem Papier, variable Maße
Aal, 2023, Acrylfarbe auf Pappe, variable Maße


Links (von oben nach unten):

Ohne Titel, 2020, Acrylfarbe auf Malkarton, 30 x 24.2 cm
Emanuela, 2022, Ölfarbe auf Malkarton, 24.1 x 17.2 cm


Rechts (von oben nach unten):

Schwestern / Fat Girl, 2023, Ölfarbe auf Malkarton, 16.4 x 21.2 cm
Emanuela’s Schwester, 2022, Ölfarbe auf Malkarton, 30 x 24 cm
Ohne Titel, 2020, Acrylfarbe auf Malkarton, 24 x 18 cm